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Ganz im Gegenteil! Der in Berlin praktizierende Zahnarzt und Experte Mischa Ommid Steude zeigt auf, weshalb sich bewusste Zahnpflege und Zahnfürsorge auch im hohen Alter auf jeden Fall lohnen. Denn Ihre gesamte Gesundheit kann davon nur profitieren.
Wenn ich als Zahnarzt jedes Mal 100 Euro bekommen würde, wenn ein Patient im besten Alter (Ü70) den oben genannten Satz zu mir sagt, bräuchte ich nicht mehr arbeiten und könnte von diesem Einkommen auf einer Insel im Südpazifik leben. Der Satz fällt meist dann, wenn ich mit dem Patienten notwendige Behandlungsschritte bespreche. In meinem Fall – ich bin Implantologe – geht es dann immer um Zahnimplantate. Also künstliche Zahnwurzeln aus Titan oder Keramik, mit denen man fehlende Zähne als festen Zahnersatz ersetzt oder mit denen eine besonders im Unterkiefer schlecht sitzende Totalprothese verbessert wird.
Diese Gespräche kennt jeder Zahnarzt. Ob es um die notwendige Zahnfleischbehandlung geht, mit der chronisch entzündete Zahntaschen gereinigt werden sollen oder um die Herstellung eines neuen Zahnersatzes, irgendwann kommt die Frage „Lohnt sich das denn überhaupt noch bei mir?“ mit Verweis auf das „biblische“ Alter von beispielsweise 72 Jahren.
Mich als absoluten Optimisten und relativ jungen Menschen um die 40 Jahre, der noch glaubt, dass er ewig lebt, erstaunt diese eigene verminderte Selbstwahrnehmung der Patienten. Man wäre ja schon viel zu alt dafür, um sich um gesunde Zähne zu kümmern oder neue Zähne machen zu lassen. Ich frage dann immer ganz überspitzt, um die Patienten zum Schmunzeln zu bringen, weshalb sie denn dann heute überhaupt zu mir gekommen sind. Dann könne man doch auch morgens einfach im Bett liegen bleiben, bis dann irgendwann Jahre später „der heilige Geist über einen kommt“. Die Patienten wissen dann natürlich, was ich damit meine. Was ein bisschen flapsig daher kommt, hat jedoch einen ernsten Hintergrund.
Bei der Entscheidung, ob man sich als Patient im besten Alter noch eine Therapie gönnen sollte, geht es weniger um eine Lifestyle-Entscheidung, sondern darum, wie gesund man für den Rest des Lebens bleiben möchte.
Bei der Entscheidung, ob man sich als Patient im besten Alter noch neue Zähne oder eine aufwendige Therapie gönnen sollte, geht es weniger um eine Lifestyle-Entscheidung à la „Ich will doch keinen Schönheitswettbewerb gewinnen.“, sondern darum, wie gesund man für den Rest des Lebens bleiben möchte.
Kauen kann man mit einer schlecht sitzenden Prothese oder mit Lücken mehr schlecht als recht. Inwieweit man seine Nahrung zerteilen kann, spielt jedoch eine entscheidende Rolle für die Verdauung und Verwertung der aufgenommenen Nahrung. Dies beeinflusst natürlich nicht nur die Lebenserwartung, sondern vor allem wie gesund man in den kommenden Jahren bleibt. Gerade bei dieser Frage spielt die Gesundheit des Zahnhalteapparats eine übergeordnete Rolle. Und das Thema wird gerade heiß diskutiert, u.a. auf internationalen medizinischen Kongressen. Hierbei geht es um das sogenannte „Inflamm-aging“ oder „Entzündungsalter“.
Das Inflamm-aging ist eine Wortschöpfung aus „Entzündung“ und „altern“ und beschreibt einen medizinischen Erklärungsversuch für den Anstieg chronischer Erkrankungen im Alter, vor allem in der westlichen Welt. Unsere Immunabwehr ist in ihrer Entwicklung auf eine Lebenserwartung von 40 bis 50 Jahren ausgelegt. Danach entwickelt sie sich nicht mehr weiter. Die Deutschen werden heute aber durchschnittlich 81 Jahre alt.
Das Immunsystem ist folglich nicht für das Erreichen eines hohen Lebensalters ausgelegt, muss nun aber länger aktiv sein. Dieser lange Zeitraum der Aktivität führt zu chronischen Entzündungsprozessen, die langsam, aber unaufhaltsam Schäden in den Organen anrichten – ein Phänomen, das in direktem Zusammenhang mit dem Altern steht und zu typischen altersbedingten chronischen Erkrankungen, wie Osteoporose, Sarkopenie, Diabetes mellitus Typ 2, Alzheimer oder Arteriosklerose, führen kann. Man kann es sich quasi so vorstellen, dass die hinzukommenden chronischen Erkrankungen wie auf ein Konto eingezahlt werden und sich die negativen Auswirkungen addieren, während die Immunabwehr stagniert. Inflamm-aging wird auch als eine Ursache des Alterungsprozesses selbst gesehen, also weshalb wir überhaupt altern.
Aber was hat all das mit meinen Zähnen zu tun, fragen Sie sich jetzt bestimmt. Für viele Menschen sind chronische Entzündungen im Mund, wie Parodontose oder eine Ostitis (Entzündung bei einem wurzelkanalbehandelten Zahn), Umstände, an die man sich gewöhnt hat. „Da tut ja nichts weh!“ ist oft ein weiterer Satz, der gern von Patienten benutzt wird. Wenn wir aber das Inflamm-aging zugrunde legen, sollte es absolut im Interesse eines jeden Patienten sein, so viele Entzündungen wie möglich zu vermeiden. Insbesondere wenn man in Betracht zieht, wie einfach chronische Entzündungen der Mundhöhle im Vergleich zu systemischen Erkrankungen in den Griff zu bekommen sind. Eine Taschenbehandlung mit anschließendem Recall und Kontrolluntersuchungen ist ein kleiner Aufwand im Vergleich zu Therapien, die durchgeführt werden müssen, um beispielsweise eine Arthritis zu bekämpfen.
Auch die Internisten freuen sich, wenn Zähne und Schleimhäute saniert und gesund sind. Denn das sind wieder ein paar Prozent Verbesserung im Kampf gegen Diabetes & Co. Die Keime der Mundhöhle und die Parodontose sind ein Co-Faktor bei vielen Erkrankungen, die ältere Menschen betreffen. Selbst bei Covid-19 wurde ein Zusammenhang zwischen nicht behandelten Parodontiden und dem Verlauf und der Schwere der Erkrankung festgestellt.
Ich wurde gebeten, ein paar Tipps zur Zahnpflege für Sie aufzuschreiben. Hier ist einer, der wichtigste: Gehen Sie regelmäßig zum Zahnarzt und fragen Sie nach, wie Sie Ihre Mundgesundheit verbessern können, um chronische Entzündungen zu reduzieren. Sie müssen nicht alles machen lassen, es sollten aber keine pathologischen Befunde ignoriert werden, nur weil Sie „alt“ sind. Denn ein Leben mit gesunden Zähnen, ob echt oder nicht, ist nicht nur ein glücklicheres Leben mit mehr Lebensqualität, sondern auch ein gesünderes! Glauben Sie mir, es lohnt sich.
Mischa Ommid Steude ist Zahnarzt und hat einen Master of Science im Bereich Implantologie. Vier Jahre lang beglückte er die Dänen in Kopenhagen mit seinen exzellenten handwerklichen Fähigkeiten, bevor er als Berliner Junge wieder nach Hause zurückkehrte. In DIE PRAXIS kümmert er sich nun um Berliner Zahnpatienten, welche nicht genug von ihm kriegen können.
Weitere Infos unter: in-der-praxis.com